Die Tragik der Schrotkugeln
Gesetzt den Fall, Schrotkugeln könnten erst miteinander reden, wenn sie aus der engen Hülse befreit sind und das Gespräch würde im Moment ihres Auftreffens enden – was sehr wahrscheinlich ist -, bliebe im Verhältnis zur Dauer ihres stummen Nebeneinanders in der Hülse und der vermutlich endgültigen Trennung nach dem Aufschlag für einen Austausch ein nur kurzes Zeitfenster. Auch ein Thema wäre nicht leicht zu finden. Sowohl aufgrund des Zeitdrucks als auch in Ermangelung irgendwelcher persönlicher Erlebnisse oder berichtenswerter Ereignisse während des relativ langen Aufenthalts in der Hülse bliebe nur das in der jüngsten gemeinsamen Vergangenheit liegende, prägende Erlebnis der Explosion, die aus ihr resultierende Verformung und der gegenwärtige Flug:
„Wie ein Herz!“
„Bitte?“
„Du siehst aus wie ein Herz!“
„Was ist ein Herz?“
Die Tragik der Schrotkugeln bestünde darin, dass drängende, Sinn stiftende Fragen nicht erschöpfend erörtert werden könnten – sprich: Fragen nach dem Woher und Wohin. Schon die wichtigste Voraussetzung für ein erhellendes Gespräch – ein gemeinsamer Begriffskanon – wäre nicht gegeben. So bliebe es wohl bei Äußerlichkeiten:
„Na, so doppelte Tropfenform …“
„Was ist ein Tropfen?“
Aufschlag.
(November 2018, Foto: Arnim Beutel)