Wer hat Angst vor Virginia Woolf?

von Edward Albee

Sie lieben Spiele. Gesellschaftsspiele wie ‚Das Hausfrauenschänderspiel‘. ‚Komm sei kein Spielverderber, kleiner Georgi‘, ermuntert Collegerektorentochter Martha ihren Ehemann. Was nett klingen mag, ist zum Kotzen. Um es mit Marthas Worten auszudrücken: Martha ‚Du kotzt mich an, George!‘
Das dreiaktige Beziehungsdrama ‚Wer hat Angst vor Virginia Woolf?‘ von Edward Albee ist nichts für Sensibelchen. Regisseur und Schauspieler Arnim Beutel inszenierte den Eheklassiker für das Theater Vorpommern nach einer Übersetzung von Pinkas Braun. Sonnabend hatte er in Greifswald Premiere. Auf den ersten Blick scheint das Stück die realistische Szenerie eines Ehestreits darzustellen:

Geschichtsprofessor George und seine Ehefrau Martha zanken und streiten sich beim Whiskey mit dem jungen ehrgeizigen Biologieprofessor Nick (Fabian Prokein) und seiner naiv-angepassten Ehefrau Honey (Anna Luise Borner).
Mehr aus Lust am Gewaltspiel entzünden sie eine Verbalexplosion gegenseitiger Beschuldigungen und Erniedrigungen. Als ‚Versager‘ oder ‚Schlappschwanz ohne Persönlichkeit‘ bezeichnet Martha ihren George – Demütigungen aufgrund eigener Frustration über die Kinderlosigkeit. George attackiert sie mit verbalen Nadelstichen. Die beiden Wütenden involvieren Nick und Honey in ihre Psychoduelle, sodass auch das junge Päarchen sich bald vor den Trümmern seiner Etikettenlüge sieht. Während Nick mit der Professorengattin hofiert, geht Honey wie so oft kotzen. Doch auch der potente ‚Mr. America‘ ist nichts weiter als ein ‚Zuchtbulle‘ und ‚Hausbursche‘. Schaut man genauer hin, entpuppt sich der intime Ehekrach als Kritik am gutsituierten amerikanischen Bürgertum – dem American Way of Life – verkörpert von Nick und Honey. ‚Das Stück ist auf keinen Fall ein Ehedrama. Es beinhaltet als philosophische These Adornos Kritik an Oswald Sprengler‘, erklärt der Regisseur. Am Ende gibt es keine Sieger oder Verlierer. Vielmehr folgt Erlösung. Das imaginierte Kind – der amerikanische Traum vom guten Leben – wird von George mithilfe einer rituellen Geisterbeschwörung für tot erklärt. Denn der Traum beruht auf einer Lüge. Erlöst summen George und Martha ‚Wer hat Angst vor Virginia Woolf‘. Mit seiner dreistündigen Psychoanalyse des US-amerikanischen Lebensstils hat Beutel ins Schwarze getroffen: Besser hätten die präzisen, von Bitterkeit und Zynismus strotzenden Dialoge Albees vor dem Hintergrund eines 60er-Jahre-Bühnenbildes mit Korbsesseln und Kennedymöbeln nicht erzählt werden können.
Und Marco Bahr als Zyniker und Kritiker George ist großartig. Umso bedauernswerter, dass dies auf Wunsch des Theaters seine letzte Premiere war und dieselbe mit einem kleinen Eklat endete.

Inszenierung:Armin Beutel
Bühne und KostümeSabine Pommerening
Dramaturgie:Franz Burkhard
Regieassistenz: Kathleen Friedrich
Inspizienz:Vivian Schmidt
Soufflage:Jürgen Meier
George:
Marco Bahr
Martha: Gabriele M. Püttner
Nick:
Fabian Prokein
Honey:Anna Luise Borner
Fotos:Barbara Braun / MuTphoto
Premiere:9. Mai 2015
Theater Vorpommern