Chatverlauf mit der Kostümbildnerin Gesine Völlm am Tag nach der Premiere:
„Liebe Frau Völlm, … vielen Dank für Ihre Glückwünsche. Ich bin sehr froh, dass es funktioniert – die Sache liegt mir sehr am Herzen und wir sind einige Risiken eingegangen. Um so glücklicher bin ich über den gestrigen Abend. Viele Grüße. Arnim Beutel.“
„Lieber Herr Beutel! Das glaube ich. So musikalisch inszenierte, fein getimte Abende sind ziemlich störanfällig. Aber der doppelte Boden ist sozusagen von Ihnen vorgesehen. Jederzeit sind diese kleinen Aussenbetrachtungen möglich und es können zur Freude des Publikums auch die Pannen mit eingebaut und ironisiert werden. Aber die gab es eben nicht. Leicht und sprühend hat sich das Ganze über sich selbst erhoben. Große Sache. Herzliche Glückwünsche auch an meine Kollegin: die Kostüme waren richtiggehend fabelhaft. Wie leichtfüßig und mit wie wenig präzisen Mitteln die Figuren gezeichnet waren – von Regie und Kostüm – Schon lange kein so schlaues, wendiges und witziges Theater mehr gesehen. Kein bisschen Angeberei. Ich kann mir vorstellen, dass das Ensemble so spielfreudig es ist, als basisdemokratisches Gefüge auch ganz schön in alle Richtungen davon galoppieren möchte und man sich manchmal vorkommt wie Ben Hur auf einem Streitwagen mit 6 Pferden, die Rennstrecke muss man sich aber selbst bahnen. Angepasst wirkt das Trüppchen jedenfalls nicht und das macht auch eine Qualität des Abends aus. Ich bedanke mich nochmal sehr herzlich für dieses seltene Theaterglück. Habe laut mitgejubelt! Herzliche Grüße! Gesine Völlm“
Gespräch zwischen Katharina Kwaschik und Arnim Beutel am Insulaner, 22. Mai 2023:
Was ist „Zwei Herren aus Verona“ für ein Stück?
Katharina: Schräg, so einzusteigen aber: Es ist unmöglich, die Handlung des Stückes zu beschreiben, ohne zu viel Verwirrung auszulösen und sich selbst nicht zu verzetteln. Es passiert so viel in dem Stück, dann doch scheinbar wieder nicht und das alles in einem irren Tempo. Mir kommt das Ding vor wie eine eingedampfte mehrteilige Seifenoperette, die dann leider mit dem Stempel „Unspielbare Komödie“ ausgestattet wurde und aus der deutschen Theaterrezeption gerutscht ist. Aber wenn man genauer hinschaut, entdeckt man feinsten und bisweilen klamaukigen Boulevard. Kann Shakespeare auch Boulevard – eine vielleicht etwas steile These…?
Arnim: Ja, na klar, wenn ich den Gedanken mal aufnehmen darf und weiterspinne: Ich habe von Ray Cooney „Außer Kontrolle“ inszeniert, das wird an deutschen Stadttheatern gern gemacht und ist eine Farce, keine Komödie. Eine Farce zeichnet aus, dass die Situation, in der sie entsteht, sehr realistisch ist und dann aber Dinge passieren, die so absurd sind, dass die Geschichte völlig wegfliegt. Man muss es genauso machen, wie es dasteht, sonst kommt man in Teufelsküche, weil alles ganz genau notiert ist, jeder Vorgang, wann welche Schranktür aufgeht und so weiter. Aber Ray Cooney hat interessanterweise auch gesagt, eine Farce steht der Tragödie näher als der Komödie. Und das ist für mich eine der spannendsten Entdeckungen, dass es für die Leute, die auf der Bühne sind, überhaupt gar nicht lustig ist. Sondern nur für die, die zugucken. Also nicht „lustig“, sondern komisch. Und das Lachen, ja, ist auch fast sowas wie eine merkwürdige Schadenfreude. Deshalb ja, klar, kann Shakespeare auch Boulevard. Würde sogar behaupten, dass das in einigen Stücken passiert.
Katharina: Wenn wir Leute reinlassen zur Premiere, dann ist ja eine Inszenierung bei uns immer noch nicht fertig, sondern dann sind wir an dem Punkt, dass man sagt, jetzt können die Zuschauer ihren Teil zum Wachstum der Inszenierung beitragen. Was ist das, was in dem Moment vor Deinem geistigen Auge für die Zuschauer zu sehen sein wird?
Arnim: Ich sehe Leute, die unglaublichen Spaß daran haben, das zu spielen, was sie da spielen. Das ist ja eigentlich eher die Meta-Ebene und das ist aber auch die Ebene, die sich extrem überträgt. Man schafft einen Raum für ein gemeinsames Spiel, wenn die Zuschauer dazukommen. Wenn man das erreicht, das wär so ein Traum. Man kann auch von außen drauf schauen als Theaterprodukt und dann hoffe ich darauf, dass ich Ecken und Kanten entdecke, dass man sieht, dass wir in den Genres springen, dass es schrecklich ist für die Figuren, was ihnen passiert. Ich denke da besonders an Valentin: der ist ein herzensguter Mensch, er ist halt nicht die hellste Kerze auf der Torte und dann passiert ihm das alles. Und eine Sylvia, die versucht, sich auf kluge Weise ein freies und selbstbestimmtes Leben zu schaffen, aber damit letztlich scheitert. Dass man diese Geschichten sieht und erkennt und daran einen Genuss hat, wie die Dinge sich entwickeln.
Katharina: Was sind die zentralen Fragen des Stückes?
Arnim: Was ist Liebe? Was ist Verbindung, Freundschaft? Ja, und vor allem: Was ist die eigene Vorstellung davon? Was ist das Ideal, das man vor sich her oder mit sich trägt? Wie geht’s auf oder nicht? Und es ist wirklich überraschend, wie genau Shakespeare beschreibt. Was toll ist, ist, dass die Dinge, wo ich beim Lesen wirklich dachte, das ist doch total langweilig, sich beim spielerischen Umgehen dann herausstellt, dass es überhaupt nicht langweilig ist und Dinge passieren, die sich beim Lesen nicht erschlossen haben. Shakespeare hat so genau beobachtet, der hat so geschickt die Reaktionen und die Muster der Figuren beschrieben. Da haben wir wirklich ein paar krasse Entdeckungen gemacht und Aha-Erlebnisse gehabt, woran man sehen kann, wie genau Shakespeare das notiert.
Katharina: Also ein Stück, das Aha-Erlebnisse ermöglicht über den Umgang der Protagonisten mit ihren jeweiligen Handlungsnöten oder Bedürfnissen. Man sieht Figuren, wie sie mit ihren menschlichen Tatsachen ringen angesichts der Situationen, in die sie geworfen werden.
Arnim: Und es ist kein Stück, nach dem man am Ende beruhigt sagen kann, wir haben daraus gelernt dass…
Katharina: Nee, es ist kein Lehrstück, sondern ein Stück über den Umgang mit dem „großen Gefühl“?
Arnim: Ja, es werden Figuren in Situationen geworfen und die müssen sich verhalten. Es ist eher so, dass ich ganz schnell dabei bin, auf eine freudvolle Weise mein eigenes Handeln zu hinterfragen. Nicht psychologisch, sondern praktisch und sinnlich. Mit einer großen Kraft, sich reinstürzend in die existenziellen Gefühle des Lebens. Der Liebesbegriff ist ja zu Shakespeares Zeiten noch recht neu. Also die Liebe als Grund zu heiraten kommt eigentlich sogar erst später. Aber Liebe als lebenssinnstiftendes Gefühl ist ja was, was Shakespeare anzweifelt. Er geht damit überhaupt nicht psychologisch um, sondern fast thesenhaft.
Katharina: Das macht Shakespeare generell aus, oder? Ein krasses Beispiel aus unserer Titus-Recherche. Wir gingen mit dem Urteil in die Arbeit, das Stück ist eine in der deutschen Theaterwelt ungeliebte Schlachteplatte. Ja, und es ist natürlich auch ein schreckliches Gemetzel, aber wie sich herausstellt, eben nur oberflächlich. Eigentlich geht’s die ganze Zeit um das Gegenteil. Also es geht immer um das, was fehlt, nämlich um die Abwesenheit von Mitgefühl und es geht um den Gegenentwurf des Friedens, der Lebensfreude als Kontrapunkt zur erzählten Situation, den Shakespeare hinterrücks mitliefert, ohne es vordergründig zu formulieren. Das passiert hier offensichtlich auch, es geht um die Antithese zu dem, was unsere Protagonisten als Liebe erachten.
Arnim: Ja, und diese Antithese zu vermitteln ist so schwer. Und letztlich brauchen wir eine Form eine Antithese zu setzen, ohne dass es zu einer Konfrontation führt, sondern dass man sie spaßeshalber mal mitdenkt.
Katharina: Das betrifft natürlich auch die Arbeit der Shakespeare Company Berlin. Ich denke gerade an das Thema „politische Vereinnahmung“, „Political Correctness“ und die Positionierungserwartung, die wir immer mal wieder spüren. Wir positionieren uns sowieso, und versuchen uns nicht vereinnahmen zu lassen von irgendeiner politischen oder gesellschaftlichen Anforderung, weil uns das in dem Vorhaben Shakespeares Komplexität oder auch Paradoxität zu vermitteln, behindert. Es ist aber auch ein Balanceakt, weil wir bestimmte Dinge und Themen nicht befeuern oder reproduzieren möchten, um dadurch wieder auf eine Position geschoben zu werden. Jetzt könnten wir mal schauen, was macht denn eigentlich das Spiel der SCB aus? Was ist Volkstheater und wie passt „Zwei Herren aus Verona“ da hinein?
Arnim: Was für mich ein zentraler Punkt ist, ist das Soziale, die krasse ungleiche Verteilung des Reichtums (und ich spreche nicht nur von Geld), die immer wieder kunstvoll ignoriert wird, wie ich finde. Darum geht’s in den Stücken Shakespeares immer. Und dass sich ein Theater überhaupt positioniert, ist völliger Schwachsinn, denn es kastriert sich selbst, wenn es sich positioniert. Und ich habe die Befürchtung, dass man die Unkenntnis entsprechender Kommentatoren aushalten muss. Und sowas wird sicher immer wieder formuliert werden, nicht wissend, dass das Theater sich sowieso positioniert. Das Theater nimmt eine Position ein, die für das Leben steht und nicht für Politik. Es steht für das Miteinanderauskommen, jenseits aller Prämissen, die politisch unterschiedlich gesetzt werden. Und das Wichtige am Volkstheater wäre dann eben, diese Ebene zu schaffen, auf der man sich trifft, ohne dafür verabredet gewesen zu sein und dann überrascht zu werden, oh, da geht’s plötzlich um Dinge des Lebens. Man kann sich ja viel vornehmen im Leben, aber letztlich passieren die Dinge.
Und zum Beispiel: Diese thesenhafte und merkwürdig analytische Auseinandersetzung mit der Liebe ist ja nicht Programm bei Shakespeare, das passiert ja einfach. Shakespeare tritt den Schritt zurück, ohne seine Figuren zu denunzieren und lässt uns draufgucken und das ist so faszinierend, bezaubernd, brutal und poetisch.
Katharina: Und es hat viele märchenhafte Züge…
Arnim: Ja, das ist spannend. Bei Shakespeare sind wir immer in Fantasieräumen. Romeo und Julia spielt nicht in dem Verona, sondern es spielt in einem Fantasie-Verona, es gibt Illyrien..Und das ist ja das Tolle, er entführt uns in eine andere Welt, und wir erkennen dort dann: Ups, das ist ja wie bei uns. Und ich glaube, das ist dann das Volkstheater. Ein Zuschauer, der in so ein Theater kommt, erwartet genau das: entführt zu werden aus der eigenen Welt und woanders hingebracht zu werden.
Das berühmte Gerede vom „Abholen des Zuschauers“ finde ich ganz schrecklich. Ich finde, der Zuschauer ist ja nicht gekommen, um abgeholt zu werden, er ist ja schon da.
Katharina: …er möchte mitgenommen werden…
Arnim: Ja, und das ist etwas ganz anderes. Weil damit mach ich den Zuschauer zum Idioten, wenn ich denke, der muss erstmal abgeholt werden.
Katharina: Neulich habe ich einen sehr erfahrenen Theater-Regisseur sagen hören, die sogenannten „großen Häuser“ (Staats- und Stadttheater) seien „Tempel der Angst“-
Arnim: Wow…ja…sind sie das geworden, oder schon immer gewesen?
Katharina: Vielleicht nicht schon immer gewesen, aber geworden in der Hierarchisierung und Bürokratisierung des Kulturbetriebs. Unser Volkstheater als Antithese zu den hiesigen Tempeln der Angst, wären dann Orte der Freude, des Spiels, des Spaßes?
Arnim: Ja, und ich würde direkt dagegensetzen: Ein Tempel des Mutes könnte das Volkstheater sein. Das hätte dann aber auch zur Folge, dass man den Shitstorm aushalten muss, wenn Leute bestimmte Dinge so sehen wollen, als Klischees, mit denen wir arbeiten oder einer politischen Unkorrektheit…Wenn Theater nicht politisch unkorrekt ist, dann braucht man es nicht mehr. Weil es muss sich entfernen aus den gesellschaftlichen Konventionen. Der Tempel des Mutes und der Mut verlangt die Kraft, genau diesen Mut auch auszuhalten…
Katharina: Und vielleicht als letzte Frage, was sagst du jemandem, um über die Arbeit der Shakespeare Company Berlin zu erzählen.
Arnim: Die Beschäftigung mit dem Autor im Vertrauen auf den Autoren, ich finde, das zeichnet die Shakespeare Company aus und die Lust daran, das auszuprobieren, was da drinsteckt. Und von diesem Fieber bin ich grad ein bisschen angesteckt.
Katharina: Das ist doch schön. Vielen Dank, lieber Arnim, für das Gespräch.